Wangener Kreis

Der Wangener Kreis ist zunächst aus der Not der Vertreibung der Deutschen aus den damaligen deutschen Ostgebieten entstanden. Er wurde in Wangen im Allgäu zu einer Zufluchtsstätte für schlesische Künstler und Gelehrte, Schriftsteller, bildende Künstler, Musiker, Literaturhistoriker, Publizisten, Freunde und all diejenigen Menschen, die nach dem Krieg einen Ort des geistigen Wiederfindens suchten.  

Durch die Folgen des Krieges und der Vertreibung waren nicht nur viele persönliche Bindungen zerstört worden, sondern eine ganze geistige Landschaft: Zeitungen und Zeitschriften, öffentliche und private Bibliotheken, Verlage, Buchhandlungen, kulturelle Vereinigungen, Hochschulen und andere Lehrinstitute, Akademien und Konservatorien.

Erster Ankerplatz war die Buchhandlung von Carl Ritter in Wangen. Dieser geistig rege und aufgeschlossene, aber auch traditionsbewusste Schwabe hatte viele Jahre im oberschlesischen Oppeln als außerordentlich erfolgreicher Buchhändler und - zusammen mit dem damaligen Oppelner Studienrat Willibald Köhler - als Initiator literarischen Lebens gewirkt. Diejenigen Bestände seiner großen Buchhandlung, die in der Zeit des Nationalsozialismus verboten waren, hatte er nach Württemberg bringen können. Mit diesen Beständen konnte die Buchhandlung Carl Ritter an die Zeit vor 1933 anknüpfen und damit auch Literatur anbieten, die von schlesischen Schriftstellern stammte.

Schon 1946 trafen sich Carl Ritter und Willibald Köhler in München auf den Trümmern eines Hauses gegenüber dem Verlag Piper und berieten über eine Zusammenführung schlesischer Schriftsteller und Künstler. In demselben Jahr kam Willibald Köhler auch mit Egon H. Rakette zusammen; die Pläne  gediehen. Damals wurde bereits an eine Künstlersiedlung in Wangen gedacht.

Mancher Plan wurde Wirklichkeit: Jahrzehnte lang existierten auf dem Atzenberg in Wangen mehrere dieser mit Hilfe des Bundes und der Stadt errichteten Häuser, in denen das Eichendorff-Museum, das Gustav-Freytag-Archiv, das Atelier Wolfgang v. Websky, das Hermann-Stehr-Archiv untergebracht waren, ebenso gab es das Haus Niekrawietz und in der Masurenstraße das Haus Storm. Im Februar 1950 kamen die Gründungsmitglieder des zukünftigen Wangener Kreises in Wangen zum ersten Mal zusammen, im November desselben Jahres traf sich hier schon ein etwas erweiterter Freundeskreis und 1951 trat er als „Wangener Kreis“ zum ersten Mal an die Öffentlichkeit.

Die Pläne hatten die äußerst bereitwillige Unterstützung durch die Stadt Wangen und den damaligen Landkreis Wangen gefunden, so durch Bürgermeister Wilhelm Uhl und Landrat Dr. Walter Münch, später durch den Oberbürgermeister Dr. Jörg Leist und seinen Kulturreferenten Walter Sterk und seit 2001 durch den Oberbürgermeister Michael Lang mit Kulturamtsleiter Hermann Spang, der bis heute Geschäftsführender Vorstand des Wangener Kreises ist.

Um den Aufbau und die Fortentwicklung des Wangener Kreises haben sich neben den bereits erwähnten Egon H. Rakette, Carl Ritter und Willibald Köhler sehr verdient gemacht: Max Lippmann, Alois M. Kosler, Ludwig Landsberg, Ernst Günther Bleisch, Dagmar v. Mutius, Monika Taubitz, Anne Wachter, Walter Sterk und viele andere mehr.

Der Wangener Kreis tagte jährlich unter dem Namen „Wangener Gespräche“ meist in Wangen, teilweise auch in anderen Orten, so in Recklinghausen, Remscheid und auf Schloss Burg a. d. Wupper, in Lörrach, Dortmund, Berlin, Heidelberg, Konstanz und Düsseldorf sowie in Haus Wiesenstein in Jagniatów/Agnetendorf und in Wrocław/Breslau.

Die Wangener Gespräche dienen dem Ziel der Bewahrung, Förderung, Deutung und Fortsetzung schlesischer Kultur und Geschichte im Zusammenhang mit deutscher und europäischer Geschichte. Lesungen, Vorträge, Konzerte, Filme, Ausstellungen, Kunstfahrten und die Herausgabe von Schriften dienten bisher diesen Zielen.

Diese Tradition wird vom Wangener Kreis in Verbindung mit der Stadt Wangen im Allgäu und der Stiftung Kulturwerk Schlesien unter der Geschäftsführung von Dr. Ulrich Schmilewski fortgesetzt. Jedes Jahr Ende September finden die Wangener Gespräche statt, eine Veranstaltung, die offen ist für kulturell interessierte Menschen aus nah und fern.

Bereits 1956 wurde in der Tradition des Oberschlesischen Joseph Freiherr von Eichendorffpreises ein Eichendorff-Literaturpreis geschaffen, zunächst noch - dem bescheidenen Geldbetrag von DM 500,-  entsprechend - „Taugenichts-Reise-Stipendium“ genannt. Er ist heute mit € 5000,-  dotiert und wird jährlich vergeben.     

Unter den Preisträgern sind stellvertretend für die zeitgenössische Literatur u. a. zu nennen: Ernst Günther Bleisch, Dagmar Nick, Hugo Hartung, Hans Lipinsky-Gottersdorf, Heinz Piontek, Kurt Heynicke, Josef Mühlberger, Monika Taubitz, Ilse Langner, Peter Huchel, Eberhard Cyran, Christine Busta (Österreich), Reiner Kunze, Dietmar Scholz, Peter Lothar (Schweiz), Dietmar Grieser (Österreich), Ottfried Preußler, Eva Zeller, Ilse Tielsch (Österreich), Peter Härtling, Urszula Koziol (Polen), Günter de Bruyn, Wulf Kirsten, Hans-Ulrich Treichel, Christoph Hein, Jörg Bernig, Catalin Florescu (Schweiz), Ulrich Schacht (Schweden).

In den 1980er Jahren war es besonders wichtig, die künstlerischen Stimmen der schlesischen Spätaussiedler wahrzunehmen. Nach dem Zerfall des kommunistischen Systems im ehemaligen Ostblock und dem Beitritt Polens und anderen osteuropäischen Staaten zur Europäischen Union konnte der Kontakt zu Künstlern und Wissenschaftlern weiter verstärkt werden. Daran hatte Monika Taubitz großen Anteil, die bis 2011 Vorsitzende des Wangener Kreises war. Vor allem intensivierte sie die Kontakte zu den polnischen Instituten für Germanistik an den Universitäten Wrocław/Breslau (Prof. Dr. Edward Białek, Prof. Dr. Anna Stroka) und Zielona Góra/Grünberg (Prof. Dr. Paweł Zimniak, Prof. Dr. Eugeniusz Klin).

Ziel wird es auch zukünftig bleiben, die Lebendigkeit der Wangener Gespräche zu erhalten, sie zusammen mit jungen deutschen und osteuropäischen Künstlern und Wissenschaftlern auszubauen sowie das Archiv des Wangener Kreises zu bewahren und fortzuführen. Wie schon seit über 60 Jahren sind die Wangener Gespräche ein beachtenswerter Bestandteil des kulturellen Lebens in der Bundesrepublik Deutschland geblieben, die für Interessenten offen sind und bleiben sollen.

 

Carl Ritter: Rückblick und Ausblick zum 25jährigen Bestehen des Wangener Kreises


 

 

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